Netzwerke vorgestellt
Prof. Dr. med. Christopher Niedhart ist Facharzt für Orthopädie in Heinsberg. Er besitzt langjährige Erfahrung in der Versorgung von Osteoporosepatienten und kennt die Chancen einer koordinierten Post-Fraktur-Versorgung genau. Im Rahmen des integrierten Versorgungsmodells (IV) Nordrhein konnte er durch eine strukturierte Osteoporoseversorgung nicht nur eine erhöhte Patientenzufriedenheit, sondern auch eine Gesamtkostenersparnis zeigen.[1] Darüber hinaus ist er Mitentwickler und Begründer der vorliegenden Website zur Post-Fraktur-Versorgung bei Osteoporose. Im Interview erklärt er, warum eine koordinierte Post-Fraktur-Versorgung so wichtig ist und wie sie aufgebaut werden könnte.
Warum braucht Deutschland eine Post-Fraktur-Versorgung?
Ein Problem der Osteoporoseversorgung in Deutschland ist die Schnittstelle zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich. Die Patienten kommen mit einer akuten Fraktur ins Krankenhaus und anschließend in der Regel in eine Rehabilitationsmaßnahme. Nach drei bis vier Wochen sind sie wieder zuhause und werden dort vom Hausarzt weiterbehandelt. Hier kommt die Osteoporosetherapie dann häufig zu kurz oder sie findet gar nicht statt, weil diese nicht im Vordergrund steht. Um dieses Defizit auszugleichen, sind eine koordinierte Versorgung und der Aufbau eines Netzwerks mit Kollegen absolut sinnvoll.
Wie steht die deutsche Post-Fraktur-Versorgung der Osteoporose im internationalen Vergleich da?
Es gibt Länder mit besserer und schlechterer Post-Fraktur-Versorgung bei Osteoporose. Ein Positivbeispiel ist England. Dort ist über das Gesundheitssystem ein entsprechendes Modell implementiert. Dabei wurden die Krankenhäuser zunächst finanziell gefördert, wenn sie sich um eine Weiterversorgung der Osteoporosepatienten gekümmert haben. Im Laufe der Zeit wurde es dann selbstverständlich, dass die Patienten weiterversorgt werden mussten, andernfalls wurden die Kliniken und Krankenhäuser mit einem Malus „bestraft“. Aus diesem Grund wurde das System aufgegriffen und hat sich durchgesetzt.
Deutschland hinkt in diesem Punkt dagegen klar hinterher. Es gibt hier Krankenhäuser, die eine Qualifizierung zur Alterstraumatologie besitzen. Dies ist für den stationären Bereich sehr wichtig, da die Patienten dort in Hinblick auf alle Defizite im Rahmen des zunehmenden Alters optimal betreut werden. Viele dieser Zentren versuchen, auch die Weiterversorgung zu sichern. Allerdings ist eine optimale Post-Fraktur-Versorgung mit einer Betreuung und Koordinierung durch einen Fallmanager (Anm.: oder „Fracture Nurse“) in Deutschland bisher nicht vorgesehen. Falls sie doch vorhanden ist, gibt es sie zum jetzigen Zeitpunkt nur aufgrund von Einzelinitiativen.
Welche Möglichkeiten gibt es in Deutschland, eine Post-Fraktur-Versorgung der Osteoporose individuell umzusetzen?
Das Entscheidende ist, dass man sich kennt und gemeinsam beschließt, dass die Patienten besser versorgt werden müssen. Das bedeutet: Auf der einen Seite ist das Krankenhaus oder die Klinik involviert – in der Regel in Form des Klinikleiters oder eines Oberarztes, der sich dem Problem der Osteoporosenachbehandlung widmet. Auf der anderen Seite sind die niedergelassenen Kollegen gefragt, die osteologisch interessiert, spezifisch fortgebildet und bereit sind, die Weiterbehandlung der Osteoporosepatienten zu übernehmen. Diese Ärzte müssen Netzwerke bilden, damit die Osteoporosepatienten nicht aus dem Blickfeld geraten. Dies ist besonders bei den Patienten wichtig, die zuvor nie aufgefallen sind und bei denen es daher um eine Erstdiagnose der Osteoporose geht. Gerade bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie aus dem Raster fallen.
Was sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen des deutschen Gesundheitssystems für eine koordinierte Post-Fraktur-Versorgung der Osteoporose?
An der Ludwig-Maximilians-Universität München gibt es ein erstes Pilotprojekt (Anm.: unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Böcker), bei dem überprüft wird, ob die finanzielle Unterstützung eines solchen Systems und die Verbesserung der Post-Fraktur-Versorgung tatsächlich zu einer besseren Patientenversorgung führen. Wenn diese Annahme stimmt, dann haben wir „gewonnen“ und ein solches System könnte entsprechend implementiert werden.
Bisher gibt das Gesetz in Deutschland (Anm.: in Bezug auf eine koordinierte Post-Fraktur-Versorgung) aber noch nichts vor. Die Hoffnung war, dass im Rahmen der Neuentwicklung des Disease-Management-Programmes (DMP) Osteoporose auch eine Vernetzung zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich in Angriff genommen wird. Diese ist aber in dem Programm nicht vorgesehen.
Das Gesetz verpflichtet zwar die Krankenhäuser, mit einem effektiven Entlass-Management die Weiterversorgung der Patienten auch nach dem Klinikaufenthalt zu gewährleisten, allerdings geht es hier natürlich vorwiegend um Schmerzmedikation, Thromboseprophylaxe und Physiotherapie. Wenn ein Patient mit einer Schenkelhalsfraktur dann nach einer circa dreiwöchigen Rehabilitationsmaßnahme beim Hausarzt ankommt, wird die Osteoporosetherapie häufig vernachlässigt.
Wie finden niedergelassene Kollegen und Ärzte in Krankenhäusern für eine koordinierte Post-Fraktur-Versorgung zusammen?
Der wichtigste Punkt ist: Man muss sich kennenlernen! Das Problem ist, dass sich die Kollegen im Krankenhaus häufig noch in der Weiterbildung befinden. Oft sind beispielsweise Oberärzte primär an der operativen Versorgung und weniger am Krankheitsbild der Osteoporose an sich interessiert. Dies ist im niedergelassenen Bereich teilweise anders.
Es geht also darum, dass man sich zusammenfindet und das Problem gemeinsam angeht. Von Vorteil ist es, wenn man relativ einfache Netzwerke aufbaut. Das heißt, dass die Patienten einfach übernommen werden können und dass die Weiterbehandlung gesichert wird. Es gibt natürlich ausreichend Hausärzte in Deutschland, die das können und bei denen die Patienten weiterhin gut aufgehoben sind. Bei manchen niedergelassenen Kollegen steht die Osteoporosebehandlung jedoch nicht im Vordergrund und in diesem Fall müsste ein solches Netzwerk greifen.
Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Konzepten zur koordinierten Post-Fraktur-Versorgung gemacht?
Es gibt immer zwei Möglichkeiten! So gibt es den aufwändigen Weg. Dabei wird tatsächlich ein neues Netzwerk aufgebaut oder ein Verein gegründet. In diesem Fall muss man aber sehr dicke Bretter bohren! In der Regel kann man aber auch kurze Wege nutzen, die bereits existieren. Beispielsweise gibt es oft schon regionale Netzwerke bei niedergelassenen Orthopäden. Da muss nur einmal der Kontakt zu den Kollegen hergestellt werden. Wie das Ganze am Schluss dann abläuft, beispielsweise ob eine Anmeldung der Patienten per Fax oder Telefon erfolgt, ist erst einmal nicht entscheidend. Ein Problem hierbei ist allerdings, dass momentan noch ein gemeinsames elektronisches Instrument fehlt, um die Patienten direkt zu steuern.
Welche Empfehlung würden Sie Ihren Kollegen zum möglichen Aufbau einer koordinierten Post-Fraktur-Versorgung geben?
Ganz einfach: Stellen Sie Kontakt her und machen Sie. Dann läuft es meistens! Außerdem finden Sie Tipps auf dieser Website.
- Niedhart C et al. Deutscher Ärzte-Verlag OUP 2015; 11: 000–000.
Frau Dr. Karrenberg, wie ist Ihr Kompetenznetzwerk entstanden?
Unser Netzwerk hat sich aus der Idee gebildet, dass wir keine große Fracture Liaison Service (FLS)-Struktur hier im Kölner Raum auf die Beine stellen wollten, da das mit sehr hohen Zertifizierungshürden verbunden ist. Wir wollten eine kleine, schnelle und regionale Lösung finden. Zu viert haben wir gesagt: „Wir fangen das jetzt einfach mal in einer kleinen Struktur an und wollen uns sukzessive erweitern.“ Der Gedanke dahinter war, das Netzwerk mit den Kliniken zu verbinden und insbesondere die osteologischen Patienten lückenlos zu versorgen. Denn wir alle haben, bis heute noch, Patienten, die durch eben diese Lücken fallen und dann mit der zweiten, dritten oder vierten Fraktur zu uns kommen, ohne dass jemand an Osteoporose gedacht hat.
Wie haben Sie das Netzwerk aufgesetzt?
Zunächst haben wir einen Vertrag zur Netzwerkgründung aufgesetzt. Dabei hat uns ein Justiziar der KV geholfen. Dann haben wir überlegt: „Was brauchen wir? Wie machen wir das? Wie ist die Kommunikation von der Klinik in die Praxis und von der Praxis in die Klinik? Wie funktioniert das unter Datenschutzaspekten?“ Anschließend haben wir angefangen, Formulare zu gestalten: Eine Faxanmeldung und eine Einwilligungserklärung, die die Patienten datenschutzrechtlich unterschreiben müssen. Wir wollten eine Mappe haben, in der die Informationen über die Patienten gesammelt werden, um den Datenaustausch zu gewährleisten und um Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Das hat uns in der Umsetzung ziemlich viel Zeit gekostet.
Wieso haben Sie sich 2021 entschieden, sich als Verein eintragen zu lassen?
Wir alle hatten bereits 2016 und 2017 unfassbar viel Zeit in das Netzwerk gesteckt. Natürlich ehrenamtlich. Und da haben wir gesagt: „Okay, aber jetzt noch finanziell einzusteigen, das geht doch ein bisschen zu weit. Wie kann das funktionieren?“ Wir haben uns dann noch einmal juristisch beraten lassen und dann war klar: Es geht nur die Vereinsform, denn dadurch kann man Sponsoren gewinnen und Mitgliederbeiträge generieren. Man muss nur die Gemeinnützigkeit nachweisen. Also haben wir eine Satzung aufgestellt, die Gemeinnützigkeit beantraget und sind hierfür zum Notar. Insgesamt war es ein recht aufwendiger bürokratischer Weg. Aber damit hatten wir uns eine Teilfinanzierung des Ganzen gesichert und konnten Mappen sowie andere Unterlagen herstellen.
Wie haben Sie Krankenhäuser motiviert, sich im Netzwerk zu beteiligen?
Morgens sind wir in die Krankenhäuser und haben unser Netzwerk vorgestellt. Wir haben sie angehalten, mit ins Netzwerk einzutreten, was viele auch gemacht haben. Außerdem haben wir dort auch Mappen hinterlegt. Mittlerweile sind wir sieben Kliniken und sind damit ganz zufrieden. Die Zahl stagniert im Moment, da die Kliniken sehr mit dem neuen Krankenhausstrukturreformgesetz beschäftigt sind. Da ist natürlich der Kopf nicht besonders frei für ein osteologisches Netzwerk.
Haben Sie weitere Herausforderungen beim Ausbau des Netzwerkes erlebt?
Da gab es einige. Erst unsere eigene Umstrukturierung, dann kam Corona, jetzt kommt das Strukturverwaltungssystem. So hat es immer ein bisschen gehakt. Einer der Gründe war auch unsere hohe Messlatte: Wir hatten immer den Anspruch, nur Osteologen ins Netzwerk aufzunehmen. Zwar hatten wir in Nordrhein-Westfalen relativ viele Osteologen, aber viele machen das heute nicht mehr. Die verbleibenden Kollegen haben immer weniger Kapazitäten, die Menschen werden immer älter und damit kommen immer mehr Patienten. Viele der Ärzte haben auch Sorge vor einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die differenzierten Osteoporose-Medikamente sind teuer, das gibt das Budget oft nicht her.
Aber auch an anderer Stelle hatte es gehakt: Wir haben versucht, eine finanzierte Helferin über die Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zu bekommen. Trotz mehrfacher Gespräche wurde unser Antrag abgelehnt.
Erzählen Sie uns gerne auch von Erfolgen, die Ihnen besonders im Kopf geblieben sind.
Nicht immer, aber oft hat die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern dazu geführt, dass ich Patienten bekam, die gesagt haben: „Ich komme aus dem Krankenhaus, die haben gesagt, ich muss das nachgucken lassen.“ Man hat dadurch schon ein Bewusstsein geweckt. Ganz oft steht im Entlassungsbrief nicht mal drin, dass man das osteologisch abklären lassen sollte. Und ich finde, das Bewusstsein hat bei den Kliniken, mit denen wir zusammenarbeiten, deutlich zugenommen.
Wie viel Zeit muss man einplanen, um ein Netzwerk aufzubauen, auszubauen und am Leben zu erhalten?
In den ersten Jahren haben wir sehr viel Zeit investiert. Das waren schon mehrere Stunden pro Woche. Auch mit den unterschiedlichen Projekten, die wir angestoßen haben. Am Schluss, die reine Vereinsarbeit, war weniger Zeitaufwand. Das sind vielleicht ein bis zwei Stunden die Woche. Aber man muss sich natürlich die Zeit nehmen, um in die Krankenhäuser zu gehen, Gesprächspartner zu suchen und Gespräche zu führen. Das wollen wir in diesem Jahr vermehrt angehen.
Haben Sie noch einen Rat für diejenigen, die ebenfalls über die Gründung eines eigenen Netzwerkes nachdenken?
Meine Kernbotschaft ist: Lieber mit kleinen Strukturen starten. Und es muss keiner das Rad neu erfinden. Im Grunde rege ich immer an, dass man sich mit uns in Kontakt setzt. Entweder übernimmt man die Struktur oder man lässt sich Tipps geben. Das ist kein Problem. Bei uns war auch wichtig, dass wir uns vorher schon ziemlich gut kannten als engagierte Kollegen. Die Ideen und Strukturen haben manche Stunde in irgendeinem Kölner Brauhaus gebraucht. Da haben sich auch Freundschaften entwickelt und ich glaube, nur dann funktioniert sowas.
Frau Neudeck, Herr Meinhold, was bedeutet für Sie „Netzwerk“ und wie würden Sie HaffNet in wenigen Sätzen beschreiben?
Nadja Neudeck: Für mich bedeutet ein Netzwerk in erster Linie Zusammenarbeit – nicht nur im eigenen Fachgebiet, sondern interdisziplinär. HaffNet bringt Hausärzte, Fachärzte und weitere Gesundheitsakteure in unserer Region zusammen, um die Patientenversorgung besser zu koordinieren.
Andreas Meinhold: Genau. Es geht uns darum, die medizinische Versorgung auf dem Land nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern nachhaltig zu verbessern. Durch gemeinsame Behandlungspfade, telemedizinische Projekte und die enge Zusammenarbeit mit Pflegeeinrichtungen haben wir Strukturen geschaffen, die über die klassische Regelversorgung hinausgehen. Ebenfalls besonders hervorzuheben: Netzwerk bedeutet auch immer viel Engagement eines Kernteams, um das Netzwerk insgesamt voranzutreiben.
Woher kam der Impuls zur Gründung?
Andreas Meinhold: Die Idee entstand aus der Not heraus. Anfang der 2000er-Jahre gab es damals starke politische Signale, dass sich die Struktur der ambulanten Versorgung ändern sollte, und die Zukunft der ärztlichen Versorgung sich in unsicheres Fahrwasser bewegen könnte. Daraufhin hatten sich damals Landärzte aus der Region regelmäßig zu ärztlichen Stammtischen getroffen, um dieser unsicheren Lage ein starkes Signal der Geschlossenheit entgegenzubringen. Als Ergebnis haben wir im Jahr 2001 das HaffNet als Praxisnetz gegründet.
Nadja Neudeck: Der zweite entscheidende Schritt kam 2005 mit der Gründung der HaffNet Management GmbH. Damit wurden die Strukturen gefestigt und es konnten partnerschaftliche Verträge mit Krankenkassen und weiteren Akteuren im Gesundheitswesen eingegangen werden.
War die Wahl dieser Rechtsform im Rückblick die richtige?
Andreas Meinhold: Ich würde sagen, ja. Die Kombination aus GbR und Management-GmbH ermöglicht uns einerseits unsere sog. Netzkonferenz (Mitglieder des Ärztenetzes) als höchste Entscheidungsinstanz und andererseits unternehmerisch flexibel zu bleiben, wenn es bspw. um Verhandlungen mit Krankenkassen geht.
Nadja Neudeck: Das stimmt. Ein Verein wäre für uns weniger praktikabel gewesen, weil wir komplexe Verträge mit Krankenkassen und Leistungserbringern verwalten müssen. Darüber hinaus regelt ein Geschäftsbesorgungsvertrag für uns klar die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen GbR und GmbH.
Was hätten Sie gerne vor der Gründung gewusst?
Andreas Meinhold: Wie herausfordernd es insbesondere zu Beginn sein kann. Gerade am Anfang war sehr viel „Herzblut-Arbeit“ des Vorstands gefragt, weil schlicht die finanzielle Tragfähigkeit fehlte. Es gab Phasen, in denen wir dachten: Lohnt sich das überhaupt? Ich hätte mir gewünscht, dass wir früher auf externe Unterstützung für das Netzmanagement gesetzt hätten. Wir haben uns lange damit herumgeschlagen, Dinge selbst zu organisieren, anstatt uns auf unsere eigentliche Arbeit als Ärzte zu konzentrieren.
Wie groß ist HaffNet heute?
Andreas Meinhold: Aktuell sind 64 Haus- und Fachärzte sowie 3 nicht-ärztliche Mitglieder beteiligt. Wir arbeiten mit mehreren Pflegeeinrichtungen sowie ambulanten Diensten zusammen und stellen ein eigenes Palliativteam, um hausärztliche Praxen zu entlasten.
Nadja Neudeck: Die Versorgung ist nicht auf unsere Mitglieder beschränkt – viele Ärztinnen und Ärzte, die nicht direkt im Netzwerk sind, arbeiten dennoch eng mit uns zusammen. Dazu pflegen wir eine enge Kooperation mit den regionalen Kliniken auf Augenhöhe und engagieren uns gemeinsam für eine abgestimmte und zielgerichtete Versorgung. Auch mit der Uniklinik Greifswald haben wir aufgrund des Fachärztemangels partnerschaftliche Kooperationen bspw. im Bereich TeleDermatologie.
Was macht Ihr Netzwerk besonders?
Andreas Meinhold: Die Vernetzung mit Pflegediensten. In vielen Regionen gibt es eine klare Trennung zwischen ärztlicher und pflegerischer Versorgung. Wir haben versucht, diese Hürde abzubauen. Ein Beispiel sind unsere spezialisierten Pflegefachkräfte, die projektbezogen eng mit allen Ärzten zusammen.
Gibt es Verbesserungspotential?
Andreas Meinhold: Klar, das gibt es immer. Eine große Herausforderung ist die IT-Vernetzung. Es gibt noch keine einheitliche digitale Infrastruktur, was die Kommunikation erschwert. Ein sektorenübergreifendes IT-System wäre ein echter Fortschritt.
Nadja Neudeck: Ich denke auch, dass wir unsere Nachwuchsarbeit weiter intensivieren müssen. Wir haben bereits ein Stipendienprogramm für Studierende der Humanmedizin ins Leben gerufen, die Region wird langfristig aber auf noch mehr Nachwuchsarbeit angewiesen sein.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen?
Andreas Meinhold: Wir haben selektivvertragliche Vereinbarungen mit verschiedenen Krankenkassen. Dadurch können wir bestimmte Leistungen außerhalb der Regelversorgung anbieten, z. B. koordinierte Palliativversorgung.
Nadja Neudeck: Allerdings ist es nicht immer einfach, die Kassen von neuen Projekten zu überzeugen. Manche sind sehr offen für Innovationen, andere brauchen lange Entscheidungswege.
Haben Sie weitere Tipps für die Netzwerkgründung?
Nadja Neudeck: Wir empfehlen nach der Gründung weitere mögliche Partner gezielt anzusprechen. Um ein Beispiel zu geben: Für uns hat das sehr gut mit der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern (KVMV) funktioniert. Sie hat uns gerade zu Beginn enorm bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen unterstützt und uns auch juristisch bei Fragen rund um das Berufsrecht beraten.
Andreas Meinhold: Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Mischung von medizinischer und kaufmännischer Qualifikation in der Geschäftsführung mehr Akzeptanz hervorbringt. Wir haben heute eine separate ärztliche und kaufmännische Geschäftsführung.
Wie sieht die Zukunft des Netzwerks aus?
Nadja Neudeck: Wir wollen die digitale Vernetzung weiter vorantreiben, etwa durch telemedizinische Anwendungen, ein digitales Dokumentenmanagement und den Einsatz von KI-Anwendungen in unserem Versorgungsgebiet.
Andreas Meinhold: Und wir wollen, entsprechend dem bereits genannten Verbesserungspotenzial unser Engagement in der Nachwuchsgewinnung weiter ausbauen. Wenn wir junge Ärztinnen und Ärzte für das Arbeiten auf dem Land begeistern wollen, müssen wir zeigen, dass es hier moderne, gut organisierte Strukturen gibt.
Frau Dr. Schweppenhäuser, Netzwerken spielt eine zentrale Rolle in der medizinischen Versorgung. Was bedeutet Netzwerken für Sie?
Netzwerken bedeutet für uns vor allem Kommunikation und Zusammenarbeit. Es geht um den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, um die Versorgung von Patienten zu verbessern. Ein besonderes Anliegen ist uns die enge Zusammenarbeit mit unserer Selbsthilfegruppe für Osteoporose in Bad Dürkheim. Es ist also eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen.
Ihr Netzwerk wurde 2019 gegründet. Welche Patienten profitieren davon?
Unsere Patienten kommen aus Bad Dürkheim und der Umgebung. Als Klinik sind wir in einer besonderen Position, da wir eng mit Fachärzten und niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten. So visitiert alle zwei Wochen ein Osteologe gemeinsam mit uns Patienten mit frischen Knochenbrüchen, um frühzeitig eine Osteoporose-Diagnostik und -Therapie zu initiieren.
Wie genau verläuft dieser Prozess in Ihrer Klinik?
Die Patienten werden bereits bei der Aufnahme als Osteoporosepatienten identifiziert. Sie erhalten die Basisdiagnostik zur Osteoporose entsprechend der Leitlinie, inklusive aller Laborparameter. Wir haben eine FLS-Koordinatorin, die Patienten identifiziert, ihnen eine Infomappe übergibt und sie aufklärt. Früher haben wir jedem Patienten mit Knochenbruch automatisch einen Termin zur Knochendichtemessung vermittelt. Durch die neuen Leitlinien 2023 ist das differenzierter geworden, da nicht jeder eine solche Messung benötigt. Im Rahmen der osteologischen Visite erhalten alle Patienten eine individuelle Therapieempfehlung, die im Entlassbrief für die Hausärzte vermerkt ist oder einen Termin zur DXA Messung.
Wie viele Patienten haben bisher von Ihrem Netzwerk profitiert?
Zwischen 2019 und 2022 haben wir knapp 800 Patienten betreut. Etwa 35 % von ihnen haben einen Termin beim Osteologen wahrgenommen, weitere 38 % wollten sich selbst kümmern. Leider gibt es auch rund 20 % der Patienten, die alleinstehend sind oder im Pflegeheim leben und daher nicht die notwendige Versorgung erhalten.
Wie hoch ist der Zeitaufwand für das FLS-System in Ihrem Krankenhaus?
Die Frakturversorgung selbst gehört natürlich zu unserem Tagesgeschäft, aber die zusätzlichen Aufgaben innerhalb des FLS-Systems nehmen jede Woche mehrere Stunden in Anspruch. Sowohl unsere FLS-Koordinatorin als auch ich investieren jeweils zwei bis drei Stunden pro Woche, um die Patienten optimal zu betreuen.
Welche messbaren Erfolge konnten Sie mit Ihrem Netzwerk bereits verzeichnen?
Unsere Daten zeigen eine signifikant reduzierte Refrakturrate und eine signifikant geringere Mortalität seit der Einführung des FLS-Systems. Diese Ergebnisse haben wir sogar auf einem internationalen Osteoporose-Kongress in London präsentiert. Dennoch ist es frustrierend, wenn Patienten trotz unserer Empfehlungen vom Hausarzt keine Medikation erhalten und mit neuen Frakturen wieder in der Klinik landen.
Welche Herausforderungen bestehen in der Zusammenarbeit mit den Hausärzten?
Grundsätzlich funktioniert die Zusammenarbeit gut, doch die Umsetzung unserer Therapieempfehlungen könnte besser sein. Wir haben Workshops mit den niedergelassenen Kollegen veranstaltet, um die Probleme zu identifizieren. Viele Hausärzte fürchten Wirtschaftlichkeitsprüfungen, wenn sie osteoanabole Medikamente verschreiben. Dabei wäre es sinnvoll, wenn diese Leitlinientherapien als wirtschaftlich anerkannt würden, um den Ärzten mehr Sicherheit zu geben.
Welche weiteren Initiativen haben Sie gestartet, um die Versorgung zu verbessern?
Wir haben zahlreiche Fortbildungen für Ärzte organisiert, um sie für die Osteoporose-Therapie zu sensibilisieren. Zudem haben wir das "Osteoboard" eingeführt, eine Videokonferenz, in der sich Ärzte alle zwei Wochen kostenlos mit Osteologen austauschen können. Leider wird dieses Angebot bislang noch zu wenig genutzt.
Wie sehen Sie die Zukunft der FLS-Systeme und Netzwerke in der Osteoporose-Versorgung?
Diese Systeme werden immer wichtiger. Ohne Sekundärprävention werden wir eine wachsende Zahl an Knochenbrüchen erleben. Es geht nicht nur darum, Operationen zu vermeiden, sondern auch die Lebensqualität der Patienten zu erhalten. Viele ältere Menschen können nach einem Schenkelhalsbruch nicht mehr in ihr gewohntes Leben zurückkehren. Das muss mehr in den Fokus rücken.
Welche politischen Änderungen wären wünschenswert?
Wir brauchen eine Refinanzierung der FLS-Systeme in den Krankenhäusern. Derzeit werden die zusätzlichen Aufwände nicht abgedeckt. Auch eine bundesweite Aufklärungskampagne wäre sinnvoll, um das Bewusstsein für Osteoporose zu stärken – ähnlich wie es früher Kampagnen zu Schlaganfällen gab. Es ist eine Volkskrankheit mit großen wirtschaftlichen Folgen, die mehr Beachtung dringend nötig hat.