Aktuelle Studienlage zur koordinierten Post-Fraktur-Versorgung
Weltweit und in mehreren europäischen Ländern – wie Frankreich, Spanien, Großbritannien, Schweden und den Niederlanden – gibt es bereits etablierte koordinierte Post-Fraktur-Versorgung. Wissenschaftliche Studien aus diesen Ländern zeigen, dass eine koordinierte Versorgung von Osteoporosepatienten sowohl im Hinblick auf die Prävention von Sekundärfrakturen einen Mehrwert bietet als auch gesundheitsökonomische Vorteile mit sich bringt.
Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über ausgewählte Studien zu Kosten der osteoporosebedingten Folgefrakturen sowie zur koordinierten Post-Fraktur-Versorgung.
Nakayama A et al. Osteoporos Int 2016; 27 (3): 873–879[1]
Ort der Studiendurchführung: Australien
Studienart: historische Kohortenstudie
Endpunkte: Mortalität und Refrakturen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren
Methoden:
- Einschluss von Patienten im Alter von ≥ 50 Jahren
- Beobachtung der Refrakturrate von Patienten, die innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten aufgrund einer Fraktur in einem Krankenhaus mit koordinierter Post-Fraktur-Versorgung (n = 515) und in einem Krankenhaus ohne koordinierte Post-Fraktur-Versorgung (n = 416, Kontrollgruppe) vorstellig wurden
Ergebnisse:
Innerhalb eines Beobachtungszeitraums von drei Jahren erlitten 12 % (63/515) der Patienten in Krankenhäusern mit koordinierter Post-Fraktur-Versorgung und 17 % (70/416) der Patienten in Krankenhäusern ohne koordinierte Post-Fraktur-Versorgung eine Folgefraktur.
Zusammenfassung:
Die Einführung einer koordinierten Post-Fraktur-Versorgung war mit einer circa 40 %igen Risikoreduktion für schwergradige Refrakturen der Hüfte, der Wirbelsäule, des Beckens oder des Oberschenkels innerhalb von drei Jahren assoziiert (HR: 0,59; 95-%-KI: 0,39–0,90; p = 0,013).
Das Risiko für Refrakturen an allen Knochenlokalisationen war um circa 30 % verringert (HR: 0,67; 95-%-KI: 0,47–0,95; p = 0,025). Die Number needed to treat zur Prävention einer neuen Fraktur innerhalb von drei Jahren betrug 20.
Axelsson KF et al. Osteoporos Int 2016; 27 (11): 3165–3175[2]
Ort der Studiendurchführung: Schweden
Studienart: historische Kohortenstudie
Endpunkt: Auftreten von Refrakturen sowie Mortalität
Methoden:
- Einführung eines Fracture Liaison Service (FLS) über bereits existierende Sekretariate der Notaufnahme und der orthopädischen Abteilung eines schwedischen Krankenhauses im Jahr 2013. Hierbei wurde kein zentraler Fallkoordinator eingesetzt.
- Einschluss aller Patienten im Alter von > 50 Jahren (n = 2.713 von 2013 bis 2014)
- Vergleich mit historischen Kontrollen (n = 2.616 von 2011 bis 2012)
Ergebnisse:
- Der FLS mit minimalen Ressourcen erhöht die Anzahl der Knochendichtemessungen mittels DXA (DXA: „Dual Energy X-Ray Absorptiometry) bei Patienten mit Frakturen von 7,6 % auf 39,6 % (p < 0,001).
- Die Behandlungsrate nach einer Fraktur stieg im Rahmen des FLS von 12,6 % auf 31,8 % an.
- Patienten mit FLS hatten im Vergleich zu unbehandelten Patienten ein um 51 % reduziertes Risiko für eine Refraktur (HR: 0,49; 95-%-KI: 0,37–0,65; p < 0,001).
- Die Mortalität war in der FLS-Interventionsgruppe tendenziell geringer: n = 361 (13,3 %) in der Kontrollgruppe versus n = 320 (12,2 %) in der FLS-Interventionsgruppe (p = 0,24). Statistisch war der Unterschied zur Kontrollgruppe jedoch nicht signifikant (adjustierte Cox-Analyse: HR: 0,88; 95-%-KI: 0,76–1,03; p = 0,11).
Zusammenfassung:
Auch unter geringem Ressourcenaufwand kann das FLS-Konzept die Untersuchung und die Behandlung von Osteoporosepatienten mit Fraktur deutlich verbessern. Bei Patienten mit FLS war das Risiko einer neuen Fraktur im Vergleich zu historischen Kontrollen um 51 % reduziert. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch ein FLS ohne zentralen Fallkoordinator die Prävention von Sekundärfrakturen verbessern kann.
Die Cox-Analyse zeigte einen Trend zu einer geringeren Mortalität in der Interventionsgruppe mit FLS, dieser war jedoch nicht statistisch signifikant.
Bleibler F et al. Gesundheitswesen 2014; 76 (3): 163–8[3]
Ort der Studiendurchführung: Deutschland
Studienart: statistische Analyse
Endpunkt: Berechnung der Krankenhauskosten in Deutschland im Jahr 2009, die durch die Behandlung osteoporosebedingter Frakturen an 16 Skelettregionen entstanden sind
Methoden:
- Berechnung der stationären Frakturkosten anhand amtlicher Statistiken zu frakturspezifischen Fallzahlen im Krankenhaus, Bevölkerungszahlen für Deutschland, Informationen über abgerechnete diagnosebezogene Fallpauschalen sowie Daten zu Investitionskosten im Krankenhaus
- Schätzung des Anteils stationär behandelter Frakturen, die dem Risikofaktor Osteoporose zuzuschreiben sind, aufgrund des epidemiologischen Konzepts des bevölkerungsbezogenen attributiven Risikos (Informationen aus nationaler und internationaler Literatur)
Ergebnisse:
- Im Jahr 2009 verursachten die 16 untersuchten Frakturtypen Kosten in Höhe von circa 2,4 Mrd. Euro im stationären Bereich.
- Dabei waren 860 Mio. Euro (36 %) der Kosten auf Osteoporose zurückzuführen.
- Die höchsten Kosten entfielen auf die stationäre Betreuung von Patienten mit proximaler Femurfraktur.
Zusammenfassung:
Frakturen verursachen systemrelevante Krankenhauskosten. Um die begrenzten Ressourcen im Gesundheitswesen möglichst effizient einzusetzen, sollten in Zukunft mehr Interventionen zur Frakturvermeidung erforscht und evaluiert werden.
Strom O et al. Acta Orthop 2008; 79: 269-280[4]
Ort der Studiendurchführung: Schweden
Studienart: prospektive Beobachtungsstudie anhand von Daten der KOFOR-Studie
Endpunkt: Evaluation des Kostenfaktors und der Lebensqualität im Zeitraum von 13 bis 18 Monaten nach initialer Fraktur der Hüfte, des Handgelenks oder der Wirbelsäule
Methoden:
- Einschluss von Patienten im Alter von > 50 Jahren, die nach einer Initialfraktur 18 Monate überlebten (n = 684)
- Evaluation der Lebensqualität in Bezug auf die Frakturen über EQ-5D-Fragebogen an 7 Forschungszentren in Schweden
- Informationsgewinnung über Patientenbefragung, Patientenakten und Registerquellen
- Direkte und indirekte Kosten wurden abhängig vom gesellschaftlichen Status geschätzt.
Ergebnisse:
- Kosten:
Die mittleren frakturbedingten Kosten 13–18 Monate nach der Initialfraktur betrugen bei Handgelenksfrakturen 316 Euro (95-%-KI: 190–569), bei Hüftfrakturen 2.422 Euro (95-%-KI: 1.873–3.187) und bei vertebralen Frakturen 3.628 Euro (95-%-KI: 2.333–5.671). - Lebensqualität:
Zur Analyse der Auswirkungen auf die Lebensqualität wurde der Health Utility Index anhand des EQ-5D-Fragebogens herangezogen. Dabei stellt der Indexwert 1 den bestmöglichen Gesundheitswert dar, während ein Indexwert < 0 (variabel) den schlechtesten Gesundheitswert abbildet.
Im Vergleich zur Lebensqualität vor der Fraktur hatte sich der Health Utility Index 13 bis 18 Monate nach der Fraktur um 0,05 für Hüftfrakturen, 0,11 für vertebrale Frakturen und um 0,005 für Handgelenksfrakturen verschlechtert. Damit zeigte sich in Hinblick auf vertebrale Frakturen eine beträchtliche Verringerung der Lebensqualität.
Zwischen Monat zwölf und 18 nach der Fraktur verbesserte sich der Health Utility Index um 0,03 für Hüftfrakturen, 0,05 für vertebrale Frakturen und um 0,02 für Handgelenksfrakturen.
Zusammenfassung:
Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass vertebrale Frakturen mit höheren Langzeitkosten und einem größeren Verlust an Lebensqualität einhergehen als bisher angenommen. Zu berücksichtigen ist bei dieser Studie allerdings, dass die untersuchte Patientengruppe mit vertebralen Frakturen relativ klein war und einen hohen Anteil an Frakturen aufwies, die zu einer Hospitalisierung führten.
Niedhart C. et al. Z Orthop Unfall 2013; 151: 20–4[5]
Ort der Studiendurchführung: Deutschland
Studienart: retrospektive Querschnittsanalyse anhand von Routinedaten der AOK Rheinland/Hamburg (Zeitraum: 2007–2010)
Endpunkt: Analyse der Rate der krankenhauspflichtigen Hüftfrakturen sowie anderer osteoporosefrakturassoziierter Krankenhauseinweisungen und der Versorgungskosten des integrierten Versorgungsmodells Nordrhein im Vergleich zur Regelversorgung.
Methoden:
- Untersuchung aller Versicherten im Alter von 50 bis 89 Jahren mit Osteoporosediagnose (ICD-10 M80 oder M81) sowie mit mindestens drei Verordnungen osteoporosetypischer Arzneimittel
- Analyse der ermittelten Patientendaten getrennt nach Integrierter Versorgung (IV) und Regelversorgung
Ergebnisse:
- Es wurden insgesamt 22.040 Patienten erfasst, hiervon 3.173 Patienten in der IV.
- Die Rate der krankenhauspflichtigen Hüftfrakturen war in der IV-Gruppe im Vergleich zur Regelversorgung um 74 % reduziert (5,93/1.000 vs. 22,96/1.000 Versichertenjahre).
- Die Rate anderer osteoporosefrakturassoziierten Krankenhauseinweisungen war in der IV-Gruppe im Vergleich zur Regelversorgung um 73 % verringert (46,92/1.000 vs. 172,88/1.000 Versichertenjahre).
- Die Arzneimittelkosten für Osteoporosetherapeutika waren in der IV-Gruppe circa doppelt so hoch wie in der Regelversorgung.
- Allerdings waren die Gesamtarzneimittelkosten in der IV-Gruppe (1.438 Euro) geringer als in der Vergleichsgruppe mit Regelversorgung (1.702 Euro).
Zusammenfassung:
Eine integrierte Osteoporoseversorgung und eine multimodale Therapie durch qualifizierte Ärzte kann die Rate an fragilitätsfrakturassoziierten Krankenhauseinweisungen signifikant senken. Darüber hinaus werden die Gesamtarzneimittelkosten reduziert.
Hesse E. et al. Unfallchirurg. 2019; 122: 766–770[6]
Ort der Studiendurchführung: Deutschland
Studienart: Literaturrecherche
Endpunkt: Darstellung der aktuellen Versorgungssituation von Patienten mit manifester Osteoporose und den assoziierten Risiken in Deutschland. Das Konzept des Fracture Liaison Service (FLS) wird als neue Versorgungsstruktur präsentiert und die Möglichkeiten zur Etablierung des FLS in Deutschland werden dargelegt.
Methoden:
Literaturrecherche (pubmed) anhand themenbezogener Schlüsselbegriffe. Berücksichtigt wurden ebenfalls praktische Erfahrungen der Autoren im Rahmen einer FLS-Umsetzung.
Ergebnisse:
- Im Vergleich zu anderen Ländern erhalten in Deutschland die wenigsten Patienten eine Osteoporosebehandlung nach einer Fragilitätsfraktur.
- Zur Verbesserung der Versorgung bietet sich ein intersektoraler FLS an. Dieses gewährleistet eine koordinierte Anbindung der Patienten mit einer Fragilitätsfraktur aus dem stationären in den niedergelassenen Bereich.
- Auf diese Weise können Hochrisikopatienten identifiziert und die Ursachen der zugrundeliegenden Erkrankung leitliniengerecht behandelt werden.
- Ein FLS kann in Deutschland unter Berücksichtigung der lokalen Begebenheiten strukturiert werden.
Zusammenfassung:
Ein FLS sollte in Deutschland flächendeckend etabliert werden, um die Versorgung von Patienten mit manifester Osteoporose zu verbessern.
- Nakayama A et al. Osteoporos Int 2016; 27: 873–879.
- Axelsson KF et al. Osteoporos Int 2016; 27: 3165–3175.
- Bleibler F et al. Gesundheitswesen 2014; 76: 163–168.
- Strom O et al. Acta Orthop 2008; 79: 269-280
- Niedhart C et al. Z Orthop Unfall 2013; 151: 20–24.
- Hesse E et al. Unfallchirurg 2019; 122: 766–770.